Podcast: Die Mobilität von morgen

Freitag, 12. März

Wie bewegen wir uns im Jahr 2030 von A nach B? Werden wir noch ein eigenes Auto brauchen? Ist autonomes Fahren wirklich besser? Und wie sieht ein „smarter Bahnhof“ aus? Wir diskutieren über die Mobilität von morgen in der Stadt der Zukunft – mit Ingmar Streese, Berliner Staatssekretär für Verkehr, Michael Peter, CEO Siemens Mobility und Stefan Kögl, General Manager der Siemensstadt.

Michael Peter steht im Podcast-Studio, seine Gesprächspartner sind auf einem Bildschirm zu sehen

Herr Streese, Sie arbeiten seit zwei Jahren an der Umsetzung des Berliner Mobilitätsgesetzes, das den Verkehr der Zukunft in der Hauptstadt regeln soll. Was erwartet uns?

Das Berliner Mobilitätsgesetz ist ein bundesweites Vorreitergesetz mit einem sehr umfassenden Maßnahmenkatalog. Bei der Verkehrssicherheit ist unser Leitbild die „Vision Zero“, also möglichst keine schwerverletzten und getöteten Unfallopfer mehr im Stadtverkehr. Dazu bauen wir unfallträchtige Kreuzungen um und machen sie sicherer. Gleichzeitig fördert das Gesetz den Klimaschutz und den Umweltverbund aus öffentlichem Nahverkehr, Fahrrad- und Fußverkehr. Mit 28 Milliarden Euro bis 2035 ist das für den Berliner Nahverkehr das größte Investitionsprogramm aller Zeiten. Außerdem wollen wir bis 2030 ein Netz von 3000 Kilometern Fahrradwegen aufbauen.

Ist das denn realistisch? Bisher sind erst 100 Kilometer Radwege umgesetzt…

So ein großes Programm braucht viel Anlaufzeit. Wir müssen Stellen schaffen, Budget bereitstellen, planen. Aber ich bin optimistisch, dass wir die 3000 schaffen – und sogar noch mehr: Wir haben 100 Kilometer Fahrrad-Schnellverbindungen geplant, damit Pendler schneller mit dem Rad zur Arbeit kommen. Es soll zudem mehr Fahrradstraßen, Fahrradparkhäuser und Parkbügel geben – 100.000 Stellplätze bis 2025. Im Fußverkehr wollen wir ein leichteres Queren durch längere Ampelzeiten und mehr Übergänge ermöglichen und die Übergänge barrierefrei machen. Insgesamt wird der Berliner Verkehr menschenfreundlicher und stadtfreundlicher. Wir arbeiten derzeit noch an einem Gesetzesabschnitt für datengestützte neue Mobilität und einen stadtfreundlichen Wirtschaftsverkehr.

Herr Peter, welche Technologie-Trends sehen Sie für diese Mobilität von morgen?

Es gibt zwei Trends, die die Welt gerade verändern: Klimaneutralität und Urbanisierung. Der Verkehr produziert 25 Prozent der Treibhausgase. Es wird keine Klimaneutralität ohne sauberen Verkehr geben. Gleichzeitig werden im Jahr 2050 zirka 70 Prozent der Menschen in der Stadt leben. Also steigt der Bedarf an Mobilität weiter und der Verkehr wird komplexer. Wir brauchen deshalb smarte Lösungen für den Nahverkehr, der ja in Berlin nun auch ausgebaut wird. Für die „letzte Meile“ von der Haltestelle nach Hause wird es verschiedene Lösungen geben – vom Miet-Elektroroller über autonome Minibusse bis zum Fahrrad. E-Mobilität wird eine große Rolle spielen – nicht nur im Nahverkehr, sondern auch bei den Autos, die wir weiterhin im Überlandverkehr und in den kleineren Städten brauchen werden.

Herr Kögl, wie planen Sie neue Mobilitätslösungen für die Siemensstadt ein?

Wir haben ja den Vorteil, dass wir dieses Gebiet im Voraus planen können. Heute müssen Städte Autoverkehr ermöglichen – sie wurden aber gebaut, als es noch gar keine Autos gab. Die Siemensstadt gestalten wir ganz neu mit den Möglichkeiten, die es in der Zukunft geben wird. Die Herausforderung ist natürlich, dass wir uns gleichzeitig an die heute geltenden Regularien halten müssen. Wir müssen uns eine gewisse Flexibilität bewahren, weil einige Teile des Areals werden erst in zehn Jahren bebaut werden. Grundsätzlich werden wir aber auf die Digitalisierung setzen, die verschiedene Mobilitätskonzepte miteinander verbindet. Digitale Lösungen ermöglichen es, in der Stadt anzukommen und sich gleich zurechtfinden.

Herr Peter, wie wird das Erlebnis sein für den künftigen Fahrgast am neuen S-Bahnhof Siemensstadt?

Er kommt beispielsweise am Flughafen an und möchte einen bestimmten Ort in der Siemensstadt erreichen. Dann sieht er schon in seiner App, in welchen S-Bahn-Waggon er einsteigen muss. Da werden Leute zusammengeführt, die das gleiche Ziel haben. Die steigen alle in der Siemensstadt aus und können dann den gleichen autonom fahrenden Minibus für die Weiterfahrt nehmen. Die Busse sind „demand responsive“. Sie wissen also schon, wie viele Leute ankommen werden und wohin sie wollen. So hat jeder Fahrgast den Komfort eines Taxis zum Preis des öffentlichen Nahverkehrs.

So eine „App für alles“ setzt ja voraus, dass alle Akteure mitmachen und sich einig sind…

Peter: Wir bei Siemens entwickeln ja multimodale Apps und haben schon ganze Länder und Städte damit ausgerüstet. Natürlich ist das ein politisches Thema. Nicht jeder Verkehrsverbund möchte seinen Vertriebskanal hergeben. Deshalb braucht es einen politischen Beschluss, damit Tickets für alles in dieser App gekauft werden können. Aber die Vorteile liegen ja auf der Hand, deshalb bin ich zuversichtlich.

Streese: So eine App ist sehr hilfreich, aber sie ist nicht alles. Es muss an jeder Mobilitätsstation verschiedene Möglichkeiten vom E-Roller über das Mietfahrrad bis zum Nahverkehr geben. Welche App sich durchsetzt, wird sich zeigen – wir in Berlin sind auf jeden Fall für alles offen. Natürlich auch für die autonom fahrenden Minibusse, die gerade schon bei uns getestet werden.

Herr Kögl, werden die autonomen Minibusse auch in der neuen Siemensstadt fahren?

Autonomes Fahren werden wir einplanen. Für uns ist es insgesamt wichtig, von diesem starren System aus Fußweg, Fahrradweg, Straße wegzukommen. Wir wollen sogenannte multimodale Straßen bauen, die je nach Bedarf genutzt werden. Im Lauf der Jahre wollen wir da alle Möglichkeiten einbinden. Die Verteilung des individuellen Autoverkehrs planen wir schon jetzt mit Mobilitätshubs, die an bestimmten Stellen im Areal angesiedelt werden. In späteren Planungsphasen haben wir Hochgaragen im Stadtplan – vielleicht werden die aber auch gar nicht umgesetzt.

Ist eine multimodale Straße nicht total gefährlich für Fahrradfahrer oder Fußgänger?

Nicht, wenn der Verkehr entsprechend langsam fährt. Und wenn die Stadt nicht hauptsächlich für den PKW-Verkehr geplant wird, sondern als Antwort auf die wichtigste Frage: „Wie komme ich am besten und am sichersten von A nach B?"

Stichwort autonomes Fahren: Warum sollte ich als Berliner*in mein Auto aufgeben? Warum ist das autonom fahrende Auto besser oder umweltfreundlicher als das von mir selbst gesteuerte?

Peter: Umweltfreundlicher ist es nur, wenn mehrere Menschen zusammen darin fahren. Ich gehe davon aus, dass künftig alle Autos CO2-neutral sind. Die selbstfahrenden Fahrzeuge werden erstmal keinen Vorteil vor dem Individualverkehr haben. Wenn ich von hier nach Brandenburg fahre, fahre ich auch lieber selbst Auto, das macht ja Spaß. Der Fortschritt für den Nahverkehr ist aber eklatant. Der Busfahrer macht heute die Hälfte der Kostenposition aus, weshalb es lange Taktzeiten gibt sowie sehr lange Busse und Haltestellen, die weit auseinander liegen. Selbstfahrende Fahrzeuge fahren eine Strecke dann an, wenn sie gebraucht wird.

Streese: Ich möchte darauf hinweisen, dass unsere bisherigen Versuche mit Carpooling nicht dazu geführt haben, Leute aus ihrem eigenen Auto herauszuholen. Sie nutzen dann weniger den öffentlichen Nahverkehr. Bisher ist das Pooling auch nicht lukrativ. Trotzdem ist das natürlich spannend für uns in Berlin. Da lernen wir auch gern von anderen Städten.

Herr Streese, in der Siemensstadt wird ein ganz neues Verkehrs-Ösystem geplant. Was ist dabei die Rolle der Stadt Berlin?

Wir haben uns hier mit Siemens früh abgestimmt, auch bei der Ausschreibung für den Städtebau-Wettbewerb, in der ja ein Konzept für wenig Autoverkehr gefordert war. Wenn man ein autoarmes oder sogar autofreies Quartier gründen will, braucht es zum Beispiel Parkmöglichkeiten am Rand. Die Stadt kann auch veranlassen, dass die Verkehrswege in das Viertel mit Pollern ausgestattet sind, damit das Viertel vom Durchgangsverkehr und von nicht unbedingt notwendigem Verkehr verschont bleibt. Grundsätzlich ist bei jeder Planung wichtig, dass die Stadtverwaltung und der Investor eng zusammenarbeiten!

Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn Sie an die Zukunft der Mobilität denken?

Kögl: Auf die von Herrn Peter beschriebene Vision: Ankommen am Flughafen, das autonom fahrende Auto wartet schon und fährt mich direkt zu meinem Ziel.

Streese: Darauf, dass wir uns klimafreundlich und ohne Lärm fortbewegen.

Peter: Auf die schönsten Berliner Straßen mit großen Fahrradwegen, Spielplätzen und Cafés statt Verkehr.