Edgar Schuster, Buchhändler „Bücher am Nonnendamm“

Die „Alte Buchstube Siemensstadt“: In den zwanziger Jahren gegründet, war sie seit jeher mit dem Stadtteil verbunden. Doch nicht nur das. Die Buchhandlung war so eng mit dem Unternehmen Siemens verknüpft, dass sogar eine Standleitung gelegt wurde – direkt von der Siemens Telefonzentrale in die Buchhandlung. Später musste die Handlung schließen. Um Anfang der Zweitausender als „Buchhandlung ohne Bücher“ wieder zu eröffnen und für Furore zu sorgen. Heute ist die Buchhandlung „Bücher am Nonnendamm“ seit bald 20 Jahren in der Siemensstadt erfolgreich. Ihr Inhaber heißt Edgar Schuster.

Herr Schuster, wie sind Sie zu „Bücher am Nonnendamm“ gekommen?

Edgar Schuster:
Ich hatte vorher schon in Siemensstadt gearbeitet. Bin irgendwie durch Zufall in den Buchhandel gekommen. Ein Bekannter von mir, Gerald, hatte die „Alte Buchstube Siemensstadt“, die es seit den zwanziger Jahren gab. Die hat er gekauft 1986, und da bin ich dann ein paar Mal vorbeigekommen. Und irgendwann hat er gemeint, er „muss mal kurz zur Bank“ und „so geht die Kasse“ – und von dem Moment an habe ich immer wieder ausgeholfen.

Um den Laden später zu übernehmen?

Edgar Schuster:
Ich habe schon als Kind sehr viel gelesen und war ständig in der Bibliothek und hab mir hunderte von Büchern ausgeliehen. Als ich dann die Möglichkeit hatte, bei Gerald zu jobben, da war das wie im Paradies. Die ganzen neuen Bücher gleich alle in der Hand zu haben und die Hintergründe zu erfahren, wie alles funktioniert. Ich habe gemerkt: Das will ich für immer machen! Es hat dann allerdings noch eine Weile gedauert ...

Das heißt, Sie haben den Laden nicht direkt übernommen?

Edgar Schuster:
Nein, der Laden wurde geschlossen und ich war Angestellter, das heißt, ich wurde arbeitslos. Ich habe lange überlegt, was ich machen soll, denn ich hatte kaum Kapital. Irgendwann habe ich mir gesagt: „Okay, ich hab‘ zwar kaum Geld – aber ich fang an. Frag die Banken.“ Damals musste man Existenzgründerdarlehen noch bei der Hausbank beantragen. Aber keine Bank war willens, mir und meinen Mitstreitern unter die Arme zu greifen. Jede mit einer anderen Begründung. Sich widersprechende Begründungen! Ende 2001 habe ich dann gesagt: „Irgendwie müssen wir anfangen. Los geht´s! Ohne Kapital.“ Die erste Miete hat uns eine Abgeordnete aus Siemensstadt vorgestreckt.

Hatten Sie denn genug Geld, um den Landen mit Büchern zu bestücken?

Edgar Schuster:
Das war das Verrückte: Mit dem bisschen Geld, das da war, haben wir einen Teppichboden und drei Billy-Regale geholt. Mehr ging nicht. Zum Glück kamen gleich die SiemensstädterInnen: „Toll, dass ihr da seid. Können wir euch irgendwie helfen? Ich habe noch ein paar gute Bücher, die könnt ihr verkaufen“. Aber wir wollten eben nur neue Bücher, wir wollten eine klassische Buchhandlung sein.

Wie haben Sie das Problem gelöst?

Edgar Schuster:
Mit der Solidarität der SiemensstädterInnen. Ich habe ihnen gesagt: „Wenn ihr uns helfen wollt, kauft einen Gutschein über 50 Euro, davon bestellen wir Bücher.“ Die solidarische Resonanz war groß! So konnten wir auf der Buchmesse in Leipzig die ersten Bücher kaufen. Das hat das „Spandauer Volksblatt“ mitbekommen. In der Woche darauf kam das Fernsehen mit der „Abendschau“ – und dann immer mehr Berichte. Später besuchte uns ein Kunde, der saß auf Mallorca beim Frühstück und hatte gelesen, dass die Siemensstadt eine „Buchhandlung ohne Bücher“ aufmacht. Er war hin und weg. Gleich als er wieder in Berlin war, ist er gekommen und hat geguckt.

Meinen Sie, diese Geschichte hätte so nur in der Siemensstadt geschehen können?

Edgar Schuster:
Siemensstadt funktioniert schon anders. Vor der Wende, bevor Siemens mit den meisten Standorten weggegangen ist, waren die meisten Siemensstädter stolz auf Siemensstadt, haben bei Siemens gearbeitet, in Wohnungen von Siemens gewohnt. Man hat sich so richtig als Siemensstädter gefühlt. Vor 30 Jahren fand ich das piefig. Später habe ich gemerkt: „Das macht den Zusammenhalt aus, das ist was Besonderes.“

Ist dieser Zusammenhalt noch heute spürbar?

Edgar Schuster:
Früher gingen die SiemenstädterInnen in „die Stadt“ – wie man sagte –, um zu flanieren und sich Sachen anzuschauen. Gekauft haben sie dann in Siemensstadt. Das war bei Lederwaren so oder bei Bekleidung. Man kannte den Inhaber und kaufte selbstverständlich dort. Ähnlich ist es heute noch. Ich habe viele Kunden, die sagen „Ich habe mir das jetzt bei Thalia oder Hugendubel angeschaut, aber Sie können mir das Buch ja auch bestellen“. Das macht SiemensstädterInnen aus.

Wird das auch so bleiben? Wie sehen Sie die Zukunft?

Edgar Schuster:
Hoffnungsvoll. Die Transformation zur Siemensstadt2 ist eine große Chance. Außerdem wird Siemensstadt mehr mit Haselhorst verbunden. Sie sind sich ähnlich, aber nicht gleich. Es kann für uns ein Vorteil sein, dadurch dass jetzt tausende von neuen Siemensstädtern dazu kommen. Ich freue mich darauf, hier die nächsten Jahre zu erleben!