Hans Schlüter, pensionierter Mitarbeiter, Fernschreiberwerk Siemensstadt

Hans Schlüter hat eine lange Geschichte bei Siemens. 1963 kam er als junger Mann in das Unternehmen. Und blieb. Er arbeitete unter anderem für die Elektronengussgruppen oder bei den Hochspannungstelefonie-Geräten. Später wechselte er in das berühmte Fernschreiberwerk der Siemensstadt. Hier verfolgte er die Geschichte des Stadtteils live bis zu seiner Pensionierung. Und darüber hinaus: Denn Hans Schlütter lebt bis heute in der Siemensstadt.

Herr Schlüter, wie haben Sie die Entwicklungen in Siemensstadt verfolgt? Sie kennen den Ort seit bald 60 Jahren, richtig?

Hans Schlüter:
Ich bin 1963 zu Siemens Berlin gekommen, aber nicht gleich ins Fernschreiberwerk. Berlin war ein Fertigungsstandort und in Siemensstadt das Fernschreiberwerk war es ein großes Werk. Ins Fernschreiberwerk allein sind schon jeden Morgen 4000 Leute gekommen. Dann gab es das Röhrenwerk, dann gab es das Dynamowerk. Ich weiß nicht wie viele insgesamt, vielleicht 15 000 Leute haben hier gearbeitet. Aber unabhängig davon, es gab ja noch andere Werke in Siemensstadt, also das Schaltwerk, das Kabelwerk, das Anlagenwerk und so weiter. Die Entwicklung war leider nicht in Berlin, sondern die war in München. Denn nach dem zweiten Weltkrieg ist ja Berlin, wie jeder weiß, total ausgebombt worden und die Firmen, die hier ansässig waren, haben Berlin verlassen. Vor dem zweiten Weltkrieg wurde alles in Berlin entwickelt, aber aufgrund des kalten Krieges und aus politischen Gründen hat Siemens die Leitung abgezogen.

Sie persönlich sind dann später ins Fernschreiberwerk gewechselt?

Hans Schlüter:
Richtig, ich bin ungefähr 1972 oder 1973 zu den Fernschreibern gekommen. Hier in Siemensstadt. Aber das war noch der mechanische Fernschreiber. Man muss sich vorstellen, sämtliche Einzelteile wurden im Fernschreiberwerk hergestellt. Das heißt also das Fernschreiberwerk bestand aus einer Dreherei, einer Fräserei, einer Galvanik, einer Stanzerei, einer Bohrerei ... Das heißt also, man hat damals für die Herstellung eines Fernschreibers ungefähr 200 Arbeitsstunden aufgewendet. Jedes einzelne Teil bis zum fertigen Produkt. Aber dann kam die große Innovation – Elektronik. Siemens hat einen elektronischen Fernschreiber entwickelt: den Fernschreiber 1000. Ab 1975 wurde der Fernschreiber 1000 gebaut. Ein rein elektronisches Gerät.

Was sich auch auf den Standort Siemensstadt ausgewirkt hat?

Hans Schlüter:
Für den mechanischen Fernschreiber wurde 1975 die Fertigung eingestellt. Das hatte einen erheblichen Effekt auf die Mitarbeiteranzahl. Denn der Fernschreiber 100 wurde durch 4000 Mitarbeiter produziert und der Arbeitsinhalt waren 200 Stunden. Bei dem elektronischen waren es plötzlich nur noch 20 Stunden. Man brauchte keine Fräserei mehr, man brauchte keine Dreherei. Die ganze mechanische Landschaft musste abgebaut werden. Das hatte natürlich soziale Folgen für die Mitarbeiter. Die Anzahl der Mitarbeiter wurde um den Faktor 10 reduziert.

Jetzt erleben Sie hier wieder eine große Transformation: Was sind Ihre Wünsche bezüglich der Zukunft?

Hans Schlüter:
In zehn oder fünfzehn Jahren, wenn jetzt hier das große Projekt Siemensstadt2 fertiggestellt wird, dann wünsche ich mir, dass die Lebensqualität zunimmt. Dazu müsste für die Kultur mehr gemacht werden. Denn da ist nicht viel. Es gibt zwar ein Stadtteil-Zentrum, das ist aber mehr gedacht für ältere Leute. Für die Zukunft stelle ich mir vor, das soll ein Magnet für gut ausgebildete junge Leute sein. Und wenn die sich ansiedeln sollen, dann muss denen was geboten werden. Das heißt, es müssten vielleicht adäquate Restaurants eröffnet werden. In München ist das zum Beispiel der Biergarten. Sowas würde ich mir wünschen, das sowas hier in welcher Form auch immer eingerichtet wird. Und einen persönlichen Wunsch hätte ich noch: Durch diese neue Entwicklung in Siemensstadt mit dem Innovationscampus soll ja auch 5G ein Bestandteil sein. Auf ganz Siemensstadt ausdehnen! Vielleicht sogar, weil ja auch in dem Zentrum mit künstlicher Intelligenz gearbeitet werden oder entwickelt werden soll. Das ist direkt zusammen, auch mit autonomem Fahren. Also das wären schon Wünsche in den nächsten zehn oder zwanzig Jahren. Und dann werden wir weitersehen …